Anthropologischer Feldreport – Untersuchung der Mensch-Tier-Umwelt-Schnittstelle auf einem nigerianischen Schlachthof

Es ist Mittagszeit in einem Randgebiet von Abuja, der Hauptstadt Nigerias. Zwei Anthropolog*innen vom NCDC und RKI sitzen ins Gespräch vertieft mit Tierhändlern und regulären Arbeitern eines Schlachtbetriebes auf einer Bank zwischen Rindern und Kühen und vorbeilaufenden Ziegen und Schafen. Es ist Ende der Trockenzeit und die gnadenlose Hitze zehrt an den Kräften von allen Lebewesen.

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Blick über die offenen Ställe, aus dem Schatten eines Unterstandes von einem Tierhändler heraus (Quelle: Hellena Debelts)

Wir verweilen dort, wo die Tiere verweilen, wir essen dort, wo die Tiere essen, wir trinken das gleiche Wasser wie die Tiere.

Unser Gesprächspartner erzählt uns das, während er auf einer Holzbank inmitten der offenen Rinderställe sitzt, umgeben von seinen eigenen Tieren und denen anderer. Es ist fast Mittag und wir, Adeoye Adeponle und Hellena Debelts, das Team aus nigerianischen und deutschen Anthropolog*innen, sitzen neben ihm auf der Bank im Schatten seines Holzunterstandes. Keine Wolke durchbricht das stählerne Blau des Himmels und die Temperaturen liegen bereits über 35 Grad. Es ist das Ende der Trockenzeit in Nigeria. Alle Lebewesen sehnen sich nach den ersten kühlenden und nährenden Regenfällen.

Bei dem Stall handelt es sich um einen Lebendtiermarkt für große Wiederkäuer (Rinder) und kleine Wiederkäuer (Ziegen, Schafe), der an einen Abattoir angrenzt, einen Schlachthof. Unser Gesprächspartner ist ein Tierhändler. Er kauft Rinder und Kühe im Norden Nigerias auf großen Viehmärkten, um sie per Lastwagen zurück nach Abuja, der Hauptstadt Nigerias, zu transportieren. Hier bleiben die Tiere für Tage bis hin zu Wochen und Monaten, um an Stammkunden und -kundinnen und andere Interessenten verkauft zu werden. Die meisten Tierhändler bleiben fast jeden Tag des Jahres bei ihren Tieren. In den frühen Morgenstunden kommen die Schlachter in ihren Gummistiefeln, um die vorselektierten Tiere zu holen und sie auf ihren endgültigen Weg in den Schlachthof zu führen. Die Schlachtung beginnt in der Dunkelheit ab 5:30 Uhr, nach dem muslimischen Morgengebet, und endet um 11 Uhr, um die Hitze des Tages zu vermeiden und das frische Fleisch so früh wie möglich zu verkaufen. Ein Mallam, ein speziell religiös geschulter Mann, führt den lebensbeendenden Halsschnitt durch, um das Tier in halal zu töten, d. h. nach muslimischen Schlachttraditionen. Nachdem das Tier auf dem Boden ausgeblutet ist und ein Mann das helle Blut in einem Eimer aufgefangen hat, macht sich eine Gruppe von vier bis sieben Männern an die Arbeit. Sie schneiden das Tier, das auf dem Rücken auf dem gepflasterten Boden liegt, vom Kopf bis zum Schwanz auf und zerteilen es dann mit verschiedenen Werkzeugen wie Messern, Äxten und Macheten schnell in kleinere Stücke. Jede Gruppe arbeitet neben der anderen. Es ist eng und laut, vom Hacken und Schreien, und die Luft ist feucht und heiß. Die Abflüsse sind ständig mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt, die in den nahe gelegenen Fluss fließt. Frauen kommen herein, um in schwarzen Eimern auf dem Kopf Wasser für die Schlachtung zu bringen, und verlassen den Ort mit anderen Eimern voller Fleisch oder Gedärme. Sie bringen es zu den Käufer*innen oder auf den kleinen Marktplatz, der sich zwischen dem Schlachtbereich und dem Stall befindet. Einige Tierärzte und Tiergesundheitsinspektor*innen, die beide jeweils von der Regierung im Schlachthof eingesetzt werden, gehen in gelb-braunen oder verwaschenen blauen Baumwolluniformen, Gummistiefeln, Handschuhen und Gesichtsmasken durch den Schlachtraum, um Post-Mortem-Kontrollen durchzuführen. Sie fallen durch ihre Schutzausrüstung und Uniformen auf, da die anderen Arbeiter*innen meist Alltagskleidung und -schuhe tragen. Wo immer wir stehen, um zu beobachten, sind wir den Menschen im Weg, die ihren Teil zu diesen für das ungeschulte Auge scheinbar chaotischen Prozessen beitragen. Ein längerer Aufenthalt und die Anwendung anthropologischer Techniken wie Beobachtung, wiederholte Fragen, informelle Gespräche und Interviews führen zu einem tieferen und besseren Verständnis der alltäglichen Realität. Auf diese Weise beginnen die Forscher*innen beispielsweise die Ordnung hinter scheinbarem Chaos zu sehen, um Prozesse und die dahinterstehenden Überlegungen besser zu verstehen.

Einblick in den Eingang des Schlachtraumes (Quelle: Hellena Debelts)

Im Schlachthof wird alles, was von den Tieren stammt, wiederverwertet und in ganz Nigeria und in die ganze Welt exportiert – das Fleisch und die Gedärme für Supermärkte, Hotels und Privatpersonen, die Haut für Leder, die Hörner für Tassen und Schuhe, das Blut für Hühner- und Fischfutter, der Dung als Dünger für landwirtschaftliche Betriebe. Der Schlachthof und der Stall sind ein riesiges Netzwerk von Waren, Tieren und Menschen, die dort ein- und ausgehen, und daher ein sehr wichtiger und faszinierender Ort für die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt, Gesundheit und Krankheiten.

Abfluss, Entsorgung und Tierzusammenkünfte im Flussbett neben dem Schlachthaus (Quelle: Hellena Debelts)

Die Anthropolog*innen des Robert Koch-Instituts (RKI) und des nigerianischen Zentrums für Seuchenkontrolle (NCDC) arbeiteten über einen Monat lang im Schlachthof und im Stall sowie in einer benachbarten und auch einer ländlichen Einrichtung der medizinischen Grundversorgung und kamen jeden Tag, um mit den Menschen zu sprechen, zu beobachten und zu befragen. Die Tierärzte Dr. Valerie Allendorf vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) und Dr. Olayinka Asala und sein Team Oluyemi Ogunmolawa, Jerry Ijomanta und Joshua Seyi Oyetunde vom nigerianischen Veterinärforschungsinstitut (NVRI) haben die Feldarbeit zur Entnahme verschiedener Tierproben gemeinsam durchgeführt. Diese Forschung ist Teil eines multidisziplinären GHPP-Projekts mit dem Titel „Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt unter dem Blickwinkel von COVID-19 und One Health-Ansätzen in Nigeria, Côte d’Ivoire und der Demokratischen Republik Kongo“. Das multinationale und -disziplinäre Team arbeitet zusammen, um Daten über die Schnittstellen zwischen Mensch, Tier und Umwelt zu sammeln. Das Konzept der Verknüpfung von menschlicher Gesundheit, Tiergesundheit und Umweltgesundheit wird als One Health bezeichnet und ist wichtig für die Arbeit an Zoonosekrankheiten wie COVID-19, die von Tieren auf Menschen übergreifen können. Im Rahmen dieses Projekts untersuchen die Wissenschaftler*innen die drei Komponenten von One Health im Schlachthof und in den offenen Stallanlagen sowie in den beiden Kliniken um Abuja, um ein besseres Verständnis ihrer alltäglichen Lebenswirklichkeit zu erhalten. Diese Daten werden dazu beitragen, die Vorsorge- und Bekämpfungsmaßnahmen für Krankheitsausbrüche in Nigeria und darüber hinaus zu verbessern.

 

Stand: Juli 2022

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