Routine-Gesundheitsversorgung während Epidemien: Erfahrungen aus Sierra Leone
Das Projekt ORDER-HC führte in Sierra Leone eine qualitative Studie über die Erfahrungen von Gesundheitsdienstleistern mit der Aufrechterhaltung der Routine-Gesundheitsversorgung während Epidemien durch. Dies erfolgte in Zusammenarbeit mit dem College of Medicine and Allied Health Sciences (COMAHS) an der Universität von Sierra Leone.
Im Rahmen des Projekts ORDER-HC führte ein Team des RKI und COMAHS zwischen Ende 2021 und Ende 2022 eine qualitative Studie durch. Das Ziel der Studie war, Strategien, Maßnahmen und Erfahrungen von Gesundheitsdienstleistern bei der Aufrechterhaltung der Routine-Gesundheitsversorgung während der Ebolafieber-Epidemie (2014-2016), nachfolgender Ausbrüche von Lassafieber und der aktuellen COVID-19-Pandemie in Sierra Leone zu identifizieren und zu analysieren. Im Fokus lagen dabei die Erfahrungen des Gesundheitspersonals des staatlichen Gesundheitssystems auf verschiedenen Ebenen.
Hintergrund der Studie
Während der Ebolafieber-Epidemie in Westafrika blieben die meisten Gesundheitseinrichtungen in Sierra Leone geöffnet für die Routineversorgung oder konnten nach einer kurzen Zeit der Schließung wieder öffnen. Dies erfolgte jedoch mit großen Herausforderungen und vielen Einschränkungen. Herausforderungen und Probleme wurden während und nach der Epidemie eingehend untersucht und dokumentiert. Im besonderen Interesse dieser Studie lagen daher Lösungsstrategien und positive Lernerfahrungen im Gesundheitssystem („lessons learnt“).
Seit dem Ende der Ebolafieber-Epidemie im März 2016 hat Sierra Leone mehrere lokale Ausbrüche von Lassafieber erlebt und ist ebenfalls von der COVID-19-Pandemie betroffen. Die einzigartigen Erfahrungen des Landes mit der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Routine-Gesundheitsversorgung während der Ebolafieber-Epidemie sowie der nachfolgenden Ausbrüche von Lassafieber und der COVID-19-Pandemie in Sierra Leone sind noch nicht ausreichend dokumentiert und analysiert worden. Für die Entwicklung von Empfehlungen, Strategien und künftigen Schulungsinhalten in Sierra Leone und ähnlichen Kontexten ist es von entscheidender Bedeutung, begünstigende Faktoren zu ermitteln sowie Strategien und Maßnahmen zur Anpassung zu verstehen, die es den Einrichtungen ermöglichten, ihre Routine-Gesundheitsversorgung während des Ausbruchs aufrechtzuerhalten oder wieder aufzunehmen. Gleichzeitig ist es wichtig, die Hindernisse zu verstehen, die der Aufrechterhaltung der Routine-Gesundheitsversorgung während Ausbrüchen von Krankheiten durch hochpathogene Erreger entgegenstehen.
Durchführung der Studie
COMAHS als lokaler Forschungspartner spielte eine zentrale Rolle bei der Gestaltung des Projekts und stellte sicher, dass alle relevanten Aspekte des Gesundheitssystems in Sierra Leone berücksichtigt wurden. Projektmitarbeitende aus dem Department of Community Health bei COMAHS unterstützten bei der Studiendurchführung und der Projektverwaltung. Das Studienprotokoll einschließlich der Datenerhebungsinstrumente wurde gemeinsam entwickelt; der Leitfaden für die Interviews wurde pilotiert und anschließend überarbeitet. Die Genehmigung zur Durchführung der Studie wurde vom Sierra Leone Ethics and Scientific Review Committee des Ministry of Health and Sanitation (zuständige Ethikkommission) eingeholt und erteilt.
Insgesamt nahmen dreißig Mitarbeitende von Gesundheitseinrichtungen verschiedener Ebenen und aus unterschiedlichen Distrikten an teil-strukturierten Tiefeninterviews teil. Die Interviews wurden aufgezeichnet und wortgenau transkribiert.
Zu den wichtigsten Fragen in den Interviews gehörten: Welche Maßnahmen haben die Gesundheitseinrichtungen ergriffen, um die Routine-Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten? Welche Erfahrungen haben sie mit diesen Maßnahmen gemacht? Welche Herausforderungen gab es bei der Aufrechterhaltung der Routine-Gesundheitsversorgung und was taten sie, um diese Herausforderungen zu bewältigen? Welche Faktoren erleichterten die Aufrechterhaltung der Routine-Gesundheitsversorgung? Welche Lehren wurden aus der Ebolafieber-Epidemie in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Routine-Gesundheitsversorgung während Epidemien gezogen, und inwieweit waren bzw. sind sie für nachfolgende oder künftige Epidemien, einschließlich der COVID-19-Pandemie, relevant?
Die Forschungsergebnisse sind ein Beitrag zum wachsenden Forschungsbereich über die Resilienz von Gesundheitssystemen. Erste Ergebnisse wurden im November 2022 in zwei Workshops an der Universität von Sierra Leone und im Ministerium für Gesundheit in Freetown, Sierra Leone, vorgestellt und diskutiert.
Stärkung lokaler Kapazitäten in qualitativer Gesundheitssystemforschung
Eine wichtige Komponente des Projekts ORDER-HC stellt die Stärkung von Kapazitäten der lokalen Partner in der Gesundheitssystemforschung dar. In diesem Forschungsprojekt wurden die Kapazitäten in der Vorbereitung und Durchführung von qualitativen Studien gestärkt und vertieft. Die Mitglieder des Studienteams waren bereits beteiligt an einer Studie des anderen deutschen Partners im Projekt – dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM). Auf den dort erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten sowie dem Verständnis des übergeordneten Themas konnte daher aufgebaut werden. Vor Beginn dieser Studie wurden Treffen zur Auffrischung für das COMAHS-Team abgehalten, in denen unter anderem Interviewtechniken erneut geübt wurden. Nach der Datenerhebung führte das RKI einen viertägigen Workshop zur qualitativen Datenanalyse durch. Der Schwerpunkt lag dabei auf der thematischen Analyse, der in der Studie angewandten Methode. Erste Kodes und Themen, die während des Workshops identifiziert wurden, trugen zur weiteren Analyse bei.
Das Projektteam von COMAHS hat sich somit im Rahmen dieser Studie durch die Teilnahme an den Aktivitäten des gesamten Forschungsprozesses – Konzeption und Entwicklung von Datenerhebungsinstrumenten, Erhebung qualitativer Daten und deren Analyse – weiter fortgebildet.
Stand: Dezember 2022